BFH, Beschluss vom 21.11.2013 – II B 46/13
Das Bundesverfassungsgericht hat angekündigt, über das anhängige Normenkontrollverfahren zum Erbschaftsteuergesetz noch im Jahr 2014 zu entscheiden. Einen genaueren Zeitpunkt hat es dabei aber nicht in Aussicht gestellt. In der Zwischenzeit sollte für ergehende Erbschaftsteuerbescheide erwogen werden, die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zu beantragen, sofern im Einzelfall die Voraussetzungen gegeben sind.
Zu den Voraussetzungen hat der Bundesfinanzhof (BFH) wie folgt entschieden:
Aufgrund des beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahrens (BVerfG, 1 BvL 21/12) bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids. In diesem Normenkontrollverfahren wird über die Frage entschieden werden, ob die Vorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG verfassungswidrig ist, weil sie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt, indem sie nicht gerechtfertigte Steuervergünstigungen für bestimmte Teilbereiche enthält („nicht durch ausreichende Sach- und Gemeinwohlgründe gerechtfertigt“). Ausdrücklich hat der Bundesfinanzhof klargestellt, dass es keinen Unterschied mache, ob das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit feststellt und die Norm für nichtig erklärt, oder ob es nur die Vorschrift für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt und eine zeitlich beschränkte Weitergeltung anordnet. Insoweit hält der Bundesfinanzhof ausdrücklich nicht mehr an seiner früheren anderslautenden Rechtsprechungfest, die vorläufigen Rechtsschutz versagte, wenn zu erwarten sei, dass das Bundesverfassungsgericht lediglich die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem Grundgesetz ausspreche.
Es muss ein berechtigtes Interesse des Antragstellers gegenüber dem öffentlichem Interesse am Vollzug des Erbschaftsteuergesetzes bestehen. Hierbei ist eine Abwägung des individuellen Interesses des Steuerpflichtigen mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen vorzunehmen.
Ein berechtigtes Interesse liegt dann vor, wenn der Steuerpflichtige mangels Erwerbs liquider Mittel (z.B. Bargeld, Bankguthaben, Versicherungsleistungen nach Ableben des Erblassers) zur Entrichtung der festgesetzten Erbschaftsteuer eigenes Vermögen einsetzen oder die erworbenen Vermögensgegenstände veräußern oder belasten müsste. D.h. der Erwerber könnte die Erbschaftsteuer nicht bzw. nicht ohne weitere, verlustbringende Dispositionen entrichten.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Gehören zum steuerpflichtigen Erwerb auch verfügbare Zahlungsmittel, fehlt es regelmäßig am Interesse der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes; der Erwerber muss die Erbschaftsteuer bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zunächst einmal bezahlen. Gegebenenfalls bestehen nach der Entscheidung aber Rückerstattungsansprüche inklusive Zinsen.
Im zugrunde liegenden Fall hätte die Antragstellerin für die monatlichen Rentenzahlungen in Höhe von € 2.700, die ihr der Erblasser zugedacht hatte, und den Ansatz mit dem sogenannten Kapitalwert einen Erwerb in Höhe von € 342.015 zu versteuern gehabt. Die Antragstellerin hätte deshalb Erbschaftsteuer in Höhe von € 71.000 entrichten sollen. Die Rentenzahlungen dienten ihr zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts.
Auch das Bestehen des Wahlrechts nach § 23 Abs. 1 ErbStG (= statt nach dem Kapitalwert wird jährlich im Voraus von dem Jahreswert entrichtet; die tatsächliche Lebensdauer des Berechtigten ist hier maßgeblich) ändert daran nichts. Denn dieses Wahlrecht der Antragstellerin darf ihr grundgesetzlich geschütztes Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht einschränken, ist also für die Frage des berechtigten Interesses nicht zu berücksichtigen.
Im Ergebnis war daher die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids ohne Sicherheitsleistung aufzuheben.
Autor: Benjamin Schmidt, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht in München und Konstanz